Ich hatte vor Kurzem eine unangenehme Begegnung. Ich habe etwas auf Facebook kommentiert und eine Bekannte hat darauf reagiert. Es ging um etwas Unerhebliches. Es plätscherte hin und her, doch plötzlich meinte sie, dass ich wohl bitter sei, ich der betreffenden Person zu vergeben hätte und sie sich deswegen Sorgen mache.
Ich habe es bereits erlebt, dass „Ich mache mir Sorgen um dich!“ mir manipulativ gegenüber verwendet wurde. Es ist nicht mein Problem, wenn sich jemand Sorgen macht!
Aber noch etwas Anderes störte mich: Besagte Bekannte habe ich ca. dreimal getroffen! Sie kennt mich nicht! Von daher frage ich mich, wie sie einschätzen kann, dass ich verbittere! Das steht ihr überhaupt nicht zu! Warum verletzt mich dann das so? Wieso habe ich es immer noch nicht geschafft, mich von dem Urteil von Menschen, die nur eine untergeordnete Rolle in meinem Leben spielen, unabhängig zu machen?
Szenenwechsel: Eine Freundin hat es sich auf meiner Couch gemütlich gemacht, die Pizza war lecker und nun reden wir. Ich erzähle ihr, was ich in letzter Zeit an mir selbst beobachtet habe und frage sie dann direkt „Meinst du wirklich, dass ich ADHS habe?“ Sie bejaht! Sie hat vor längerer Zeit mir erzählt, dass sie sich reflektiert hat, weil etwas sie stört. Dabei ist sie auf Literatur über ADHS bei Erwachsenen gestoßen und hat beim Lesen immer wieder an mich denken müssen. Wir kennen uns seit über 20 Jahren. Wir haben einen anderen Glauben, manchmal auch eine andere Meinung, aber wir halten zusammen. Durch die Selbstreflexion ist sie auf die Idee gekommen, dass bei mir diese Diagnose vorliegen könnte. Nachdem sie mir das gesagt hat, hat sie nie wieder von sich aus drüber gesprochen. Jetzt, lange Zeit später habe ich mit diesem Thema angefangen! Es hat in mir gearbeitet und nun werde ich mich damit näher beschäftigen. So gehen Freunde miteinander um!
So gehen Menschen miteinander um, die andere nicht verletzen wollen! Behutsam! In christlichen Kreisen erlebe ich oft das Gegenteil. Eine Diagnose wird mir einfach ungefragt an den Kopf geknallt, oft gleich noch mit Vorschlägen für geeignete Maßnahmen! Oft genug heißt es „Mach eine Therapie!“ Warum lieben es Christen Therapie zu machen bzw. diese zu empfehlen? Wieso wird mir, wird anderen nicht die Zeit gelassen, selbst eine Entscheidung zu treffen? „Ich mache mir Sorgen um dich!“ klingt so herrlich christlich. Ist es aber nicht! Es ist urteilen über andere. „Also mir hat Therapie geholfen…“ ist die Aussage von jemanden, der sich selbst Maßstab macht! Du bist nicht der Maßstab! „Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet.“ (Matthäus 7,1)
Woher will der andere wissen, dass mir das hilft, was ihm geholfen hat? Spannend, das andere so genau wissen, was Gott angeblich tut und was nicht! Keine Geschichte, wie jemand zum Glauben gekommen ist, gleicht der anderen. Gott hat sich die Mühe gemacht, jeden Menschen anders zu schaffen, aber für kaputte Herzen soll es nur einen einzigen Weg der Heilung geben?
Besagte Bekannte erreicht mit dieser Art nur eins: dass ich zu ihr auf Abstand gehe! Eigentlich wollte ich wegen ihr Gott danken. Ich dachte ursprünglich, dass er sie mir geschickt hat, damit ich wieder mehr Kontakt zu Christen bekomme. Doch nun werde ich ihm danken für die Lektion in Seelsorge: Nicht über andere urteilen, besonders dann nicht, wenn ich sie nur kurz kenne! Ich bin nicht der Maßstab! Er ist es!
Amen.