
Es war einst ein Mann, der musste durch die Wüste. Nicht, dass er sich das unbedingt wollte. Er hätte gerne darauf verzichtet. Er hätte sich auch am Rand der Wüste einrichten können, aber er wusste, dass er da durch musste, wenn er weiterkommen wollte.
Also bereitete er sich auf den Weg vor, besorgte sich die nötige Ausrüstung und eine Karte und dann ging er los. Er ging mehrere Tage, folgte der Karte und er dachte, dass er sein Ziel bald erreichen würde. Doch dann passierte ihm ein Missgeschick nach dem anderen: sein Schnürsenkel riss, er warf seinen Tee um, der auf die Karte tropfte und damit wurde seine Karte unleserlich und er stieß sich sein Knie auf, nachdem er gestolpert war. So humpelte er missmutig weiter. Alles schien schief zu gehen. Da die Karte unbrauchbar war, machte er aus Versehen einen Umweg und seine Lebensmittel wurden knapp. Hätte er doch sich am Rand der Wüste eingerichtet. So schleppte er sich hin, während es dunkel wurde. Plötzlich sah er neben seinem eigenen Schatten einen weiteren Schatten laufen. Als wäre er nicht allein unterwegs. Vorsichtig schaute er neben sich. Doch da war keiner. “Jetzt werde ich verrückt!” dachte er. Er versuchte sich einzureden, dass er sich das einbildete, doch der Schatten verschwand nicht. Als er stehen blieb, um sich zu orientieren, lief dieser Schatten weiter. Als wüsste er genau, wo es lang geht. Der Wanderer zuckte mit den Schultern. Er würde hier in der Wüste sowieso sterben, kann er könnte er auch einem eingebildeten Schatten folgen. So trabte er dem Schatten hinterher.
Eines Abends, er hatte sich schon in seine Decke gerollt, spürte er einen starken Wind. Er schreckte hoch, weil er einen Sandsturm vermutete und durch die hektische Bewegung riss er ein Loch in seine Decke. Es war kein Sandsturm, aber seine Decke war kaputt. Nun würde er frieren müssen. Er weinte ein wenig und schlief dann doch ein.
Am nächsten Morgen erwachte er warm eingepackt in seine Decke. Er untersuchte sie. Doch er fand keinen Riss. Auch in seiner Kleidung war kein Loch zu sehen. Wieder dachte er, dass er wohl sich das nur eingebildet hätte. Also ging er weiter.
Erst kam er gut voran, doch dann, wie aus heiterem Himmel, kroch die Verzweiflung in ihm hoch. Es fiel ihm auf, dass er diesen eingebildeten Schatten lange nicht mehr gesehen hatte. Da wurde ihm bewusst, was er lange verdrängt hatte: Er war allein! Allein in der Wüste, ohne Karte und mit inzwischen sehr knappen Lebensmitteln. “Mach dir nichts vor!” dachte er “Du wirst hier sterben!” Dieser Gedanke wurde ihm zur Gewissheit und machte sich in seinem Innern breit. Er blieb stehen, denn es machte für ihn keinen Sinn mehr, weiter zu gehen. Er würde sich hinsetzen und auf seinen Tod warten. Wenigstens hatten die Geier dann etwas zu fressen. Er wollte sich gerade hinsetzen, da sah er im Sand vor sich Spuren. Er fühlte sich bestätigt. Das waren seine Spuren, er hatte sich verlaufen, dachte er. Als er genauer hinschaute, stutzte er. Die Spuren kamen aus einer anderen Richtung, als wäre ihm jemand entgegengekommen, als stände jemand direkt vor ihm. Er blinzelte. Da stand keiner. Doch er folgte ein wenig dieser Spur. Vielleicht gab es eine logische Erklärung, vielleicht führte diese Spur ihn aus der Wüste raus. Sein Lebenswille war wieder erwacht. Er beschloss, dieser Spur weiter zu folgen. So lief er, mit den Augen die Spur suchend, weiter. Irgendwann sah er verschiedene Gräser auf dem Boden. Verwundert schaute er hoch. Er wäre beinahe gegen eine Palme gelaufen. Er hatte eine Oase erreicht. Erleichtert trank er das Wasser und warf sich dann ganz rein. Er plantschte ausgelassen, wie ein Kind. Plötzlich hörte er jemanden hinter sich lachen. Er drehte sich um. Da saß sein Freund, der ihn sein Leben lang schon begleitet hatte. “Endlich bist du da!” sagte er lachend. “Wieso bist du hier?” fragte der Wanderer. “Wo sollte ich sonst sein?” antwortete sein Freund. “Habe ich dich je allein gelassen?” “Nein!” gab der Wanderer zu. “Siehst du, warum sollte ich ausgerechnet jetzt, dich allein lassen?” Da fiel es dem Wanderer wie Schuppen von den Augen: der Schatten, die heile Decke, die Spuren, all das, war sein Freund gewesen, nicht sichtbar, aber doch anwesend. Er hatte sich auf sein Equipment verlassen, auf seine Karte, aber seinen Freund, der immer für ihn da war, hat er nicht ein einziges Mal gefragt, ob er mitkommt. Es sprudelte aus ihm heraus und als er fertig war, bat er seinen Freund um Verzeihung, weil er ihn nicht gefragt hatte. Der nahm ihn nur in den Arm. Da fing der Wanderer an zu weinen, vor Freude und vor Erschöpfung und schlief dann in den Armen des Freundes ein. Es war alles gut. Er würde nicht sterben!
Am nächsten Morgen, nach einem ausgiebigen Frühstück machten sich beide zusammen auf den Weg.
Nach etlichen Tagen erreichten sie endlich ihr Ziel. Der Wanderer war durch die Wüste gegangen. Als er später an diese Wanderung zurückdachte, wollte er nicht noch einmal durch, aber die Erfahrung wollte er nicht missen. Er hatte verstanden: Selbst in der Wüste war er nicht allein!
4 Antworten zu „Begegnung in der Wüste”.
Naja,
manchmal sind wir halt solche „Schafe“,
die vergessen auf die Stimme des hirten zu hören …
LG,
Raphael.
Ja,manchmal vergessen wir es. Aber er ist trotzdem da und geht mit uns mit.
Danke für Deine berührende Geschichte und an die unsichtbaren Kräfte, die uns begleiten.
Herzliche Grüße
Gisela
Bitte, gern. Freut mich, dass sie dir gefallen hat.