Gefunden

Rose im Garten

Heute ist mir etwas aufgefallen. Ich blättere in meinen Notizen. Da stosse ich auf folgende Zeilen:

Er streichelte die Rose, küsste ihre Dornen.

als sie seine blutigen Lippen sah,

ließ sie ihre Dornen fallen, blühte und duftete für ihn.

Ich weiß, warum ich diese Zeilen schrieb.

Dann fiel mir plötzlich ein Gedicht von Goethe ein:

Gefunden

Ich ging im Walde
So für mich hin,
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.

Im Schatten sah ich
Ein Blümchen stehn,
Wie Sterne leuchtend,
Wie Äuglein schön.

Ich wollt es brechen
Da sagt‘ es fein:
Soll ich zum Welken
Gebrochen sein?

Ich grub’s mit allen
Den Würzlein aus,
Zum Garten trug ich’s
Am hübschen Haus.

Und pflanzt es wieder
Am stillen Ort;
Nun zweigt es immer
Und blüht so fort.

Es gibt zwei gängige Interpretationen. Erstens, es ist ein Gedicht über die Rücksichtslosigkeit in der Natur. Zweitens, es ist ein Gedicht in Erinnerung an das erste Treffen mit seiner Frau Christiane.

Mir ist eine dritte Möglichkeit eingefallen. Mehrere Dinge machten mich stutzig: Das Blümchen steht im Schatten. Wenn das Blümchen ein Sinnbild für seine Frau ist, dann ist doch die Frage, ob sie denn, nachdem Goethe sie geheiratet hat, wirklich aus dem Schatten herausgetreten ist. Wenn man den Schatten auf ihre geselschaftliche Stellung bezieht, dann ja. Bezieht es sich auf das eigene Ausleben, dann dürfte sie aus dem Schatten des großen Goethe nicht raus gekommen sein.

Das andere ist „der stille Ort“. War es am und im Hause Goethe in Weimar wirklich so still? Natürlich verlocken die ersten Verse gerade zu dieser simplen Interpretation. Zwei links, zwei rechts, fertig! Aber ein Satz, der mir ein Künstler mal gesagt hatte, kam wieder in Erinnerung: „Goethe war Mystiker!“ Für mich war das neu. Mir ist er in der Schule als Aufklärer, als klassischer Dichter vorgestellt worden.

Hier meine, vielleicht gewagte, Interpretation: Vielleicht meint er das Gedicht in zwei Richtungen: die bekannte, dass das Blümchen seine Frau ist und die Variante, dass er das Blümchen ist. Das Blümchen, das im Schatten von Gott gefunden wurde, aus der schlechten Erde ausgegraben, in den Garten d. h. das Paradies wieder eingesetzt wurde.

Vielleicht ist es an den Haaren herbei gezogen. Zugegeben, es ist nicht durchgehend stimmig. Aber warum sollte der Dichter nur eine Interpretation gemeint haben?

Unabhängig davon, ist es die Erfahrung, die ich gemacht habe: im Schatten stehend, von Gott gefunden und in Seinem Garten wieder eingepflanzt worden. Dort kann ich nun wurzeln und reifen. Gott gegenüber kann ich meine Dornen fallen lassen. Es ist die Erkenntnis, dass ich Gott wirklich vertrauen kann.

Diese Erfahrung, dieses tiefe innere Wissen, dass du von Gott gefunden wurdest, wünsche ich jedem!

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