
( Heute geht es mit dem Zeugnis weiter. Eine gute Freundin bat mich, es, sozusagen in ihrem Namen, niederzuschreiben. Sie meint, ich könne besser „mit Worten umgehen„. Der besseren Erzählbarkeit wegen, habe ich den Point of view als Erzählform gewählt. Sie möchte anonym bleiben.)
Gebetskreis
Es gab einen kleinen Gebetskreis in der Gemeinde. Nachdem die Initiatorin aus der Gemeinde gegangen war, versuchte ich diesen wiederzubeleben.
Ich bat darum, die Leitung übernehmen zu dürfen. Johannes stellte eine Bedingung. Ich solle zunächst zehn Wochen in der Gemeinde alleine beten und dann zehn Wochen mit jemanden zu zweit beten. Um es kurz zu machen: Ich habe keinen gefunden, mit dem ich beten konnte. Ich habe zwanzig Wochen allein gebetet.
Als diese Wochen rum waren, herrschte mal wieder, wenn ich mich richtig erinnere, Funkstille zwischen Johannes und mir. Keine Ahnung, was ich diesmal angeblich angestellt hatte. Das war typisch für die „Beziehung“ zu Johannes: ein ständiger Wechsel zwischen Trost und Abstrafen. Mal war er der verständnisvolle Seelsorger, kurze Zeit später habe ich in seinen Augen etwas getan, was einen vorübergehenden Kontaktabbruch rechtfertigte. – Wenn ein Gemeindeleiter Kontaktabbruch als Mittel der Disziplinierung einsetzt oder auch nur damit droht, sollten sämtliche inneren Alarmanlagen schrillen!
Nachdem Johannes beschlossen hatte, mir wieder gnädig zu sein, gab es, mal wieder, ein „klärendes Gespräch“. Es lief nach Schema F ab: Ich sah seine Fehler ein, entschuldigte mich dafür und gelobte Besserung. Er nahm gnädig meine Entschuldigung an. Er gab selbst zu, dass er mir nicht zugetraut hätte, dass ich wirklich durchhalte. Er übertrug mir die Leitung für den längst nicht mehr vorhandenen Gebetskreis.
Das hielt mich nicht davon ab, mich für die Neugründung desselben einzusetzen. Ich bekniete Gemeindemitglieder, dabei zu sein. Ich stellte eine Box im Foyer für Gebetsanliegen auf. Ich wollte damit zeigen, dass dieser Kreis für die Mitglieder, für die Gemeinde da ist. Die Box wurde prompt missbraucht. Nach dem Adventsbasar baute ein Mitglied die nicht verkauften Adventsgestecke auf dem Tisch auf und deklarierte die Gebetsbox zur „Kasse des Vertrauens“. Auch verbal musste ich mir einiges gefallen lassen. Da wurde ich gefragt, ob ich denn wirklich den Saal blockieren müsse, ich könne doch auch in den Keller gehen. Johannes machte mir den Vorwurf, dass ich das nur mache, um vorne zu stehen. Ich frage mich bis heute, inwieweit jemand, der im Hintergrund betet, vorne steht.
Wenn ich Pech hatte, dann musste während dieser einen Stunde ausgerechnet das Dekoteam den Blumenschmuck für den Gottesdienst vorbereiten. Das wurde dann nicht etwa leise getan, sondern ohne Rücksicht auf die gerade stattfindende Gruppe. Ja, es gab zwischenzeitlich eine Gruppe. Zwei weitere Mitglieder haben sich gefunden. Ich legte den Termin so, dass beide konnten. Also fand der Kreis vormittags statt. Das wiederum wurde mir von anderen Mitgliedern zum Vorwurf gemacht. Ich könne doch nicht vormittags den Termin festlegen. Da könne man nicht. Es waren junge Mütter, die mir das vorwarfen. Ich habe aber bereits die Erfahrung gemacht, dass in dieser Gemeinde die Aussage „Ich habe Familie!“ die Standardausrede ist. Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass Jesu Wort „Geht hin in alle Welt!“ ausschließlich an Singles gerichtet war.
Eine Stunde beten in der Woche – was ist das schon? Ich verbringe ganze Wochenenden mit Menschen oder Dingen, die mir wichtig sind. Die meisten Veranstaltungen dauern länger als eine Stunde. Ein Theaterstück hat nach anderthalb Stunden Pause. Ein Kinofilm dauert zwei Stunden, Tendenz steigend. Auf meiner Silvesterfreizeit habe ich mit Kumpels sechs Stunden lang ein Brettspiel gespielt und gar nicht gemerkt, wie die Zeit verging.
Eine Stunde beten pro Woche – das war in dieser Gemeinde eine Stunde zu viel! Mein Gebetskreis war eine Totgeburt!
Er hätte es nicht bleiben müssen, wenn der Pastor und der Ältestenkreis hinter mir gestanden hätte. Egal, was ich vorschlug, es kam keine Unterstützung. Ich organisierte sogar Gebetsnächte. Dabei dachte ich, dass sozusagen schichtweise die ganze Nacht in und für die Gemeinde gebetet wird. Es kamen sogar Einige. Am meisten beeindruckte mich ein älteres Ehepaar, das lange mit mir aushielt. Ich ging um halb vier. Keiner vom Ältestenkreis schien sich dafür zu interessieren. Mir wurde noch vorgeworfen, dass ich vom Ältestenkreis zu viel erwarten würde. Ich habe nicht erwartet, dass jemand persönlich vorbei kommt, schließlich hatten fast alle Familie, aber eine zweizeilige WhatsApp alá „He, toll, dass du das machst, wir können leider nicht, wünschen aber allen Betern viel Kraft!“ wäre schon schön gewesen.
Ich ließ mich trotzdem nicht entmutigen.
Es gab mal wieder etwas zu bereden. Ich hatte etwas gegen den Ältestenkreis vorzubringen. Johannes meinte, es gäbe auch etwas mit mir zu besprechen und es würde noch jemand aus dem Ältestenkreis dabei sein. Das war bisher nicht der Fall! Bislang war es üblich, dass ich nur unter vier Augen mit ihm redete.
Doch diesmal brauchte Johannes einen Zeugen. Er teilte mir mit, dass er der Meinung sei, dass ich psychisch krank sei und dringend Therapie benötigte und außerdem hätte er mit Vielen aus der Gemeinde wegen mir telefoniert – gewichtige Pause – ich hätte viele Konflikte provoziert. Thomas nickte ernst. Erst im Nachhinein fiel mir auf, dass er zwar die Namen derer aufzählte, die er angerufen habe, aber nicht erwähnte, was sie gesagt haben. Dann passierte etwas, was regelmäßig bei Gesprächen passierte: es platzte jemand rein. Das lag aber nicht an der mangelnden Feinfühligkeit desjenigen, sondern daran, dass Johannes nie sein Türschild auf „rot“ also „Bitte nicht stören!“ drehte. Für Johannes war es wichtig, dass er jeder jederzeit unterbrechen konnte. Seitdem sind mir Leiter und Chefs, deren Tür jederzeit offen stehen, suspekt.
Johannes reagierte gelassen auf diese Unterbrechung, ich dagegen war verärgert und zeigte es auch. Derjenige entschuldigte sich und ging. Johannes rieb mir mein eben gezeigtes Verhalten unter die Nase. Das wäre ein gutes Beispiel für mein unangemessenes Verhalten! Genau das würde in der Gemeinde Probleme machen. Ich erbat mir Bedenkzeit wegen der Therapie. Allerdings wurde mir gesagt, dass man mir den Gebetskreis wegnehmen würde, wenn ich mich dagegen entscheiden würde. Außerdem sollte ich meine „Beziehungen in Ordnung bringen“, wenn ich weiterhin die Leitung haben wollte.
Erschrocken ging ich nach Hause. Ich war also eine Zicke! Eine ganz gemeine Frau, die sofort hoch ging, wenn ihr etwas nicht passte! Ich war eine, mit der keiner zu tun haben wollte!
Nach einigen Tagen erklärte ich mich bereit, eine Therapie zu beginnen. Auch telefonierte ich die Leute ab, mit denen ich meine Beziehungen klären wollte. Es kam mir aber etwas merkwürdig vor: Viele von denen, bei denen ich mich entschuldigte nahmen verwundert meine Entschuldigung an und erklärten, dass sie kein Problem mit mir hätten. Ich war aber inzwischen so verunsichert, dass ich eher glaubte, dass sie unehrlich zu mir seien.
Johannes lobte meinen Einsatz. Er schrieb mir, dass beim nächsten Treffen mit dem Ältestenkreis darüber gesprochen wird, ob man mir die Leitung vom Gebetskreis wegnimmt oder nicht. Ich war perplex. War nicht die Rede davon, dass man mir die Leitung lässt, wenn ich auf beide Bedingungen eingehe? Zwar war Thomas dabei, aber er war sein Zeuge. Er würde nicht gegen ihn aussagen.
Einige Tage später wurde mir per WhatsApp verkündet, dass man mir die Leitung des Gebetskreises und aller weiteren Ämter wegnimmt. Man wäre aber so gnädig, dass ich bei der nächsten Mitgliederversammlung so tun könne, als würde ich freiwillig zurücktreten.
Nachdem mir also der Gebetskreis, für den ich lange gekämpft habe, weggenommen wurde, kämpfte ich darum, ihn wieder zu bekommen! (Unnötig zu erwähnen, dass keiner diesem Gebetskreis hinterhertrauerte.) Ich redete oft mit Johannes darüber. Ich bat darum, mir irgendein Ziel zu geben, eine Bedingung zu nennen, die ich erfüllen könne, um ihn wieder zu bekommen. Ich merkte einfach nichts!
(Wird fortgesetzt.)