Geistlicher Missbrauch – ein Zeugnis

(Heute beginne ich mit einem Zeugnis. Eine gute Freundin bat mich, es, sozusagen in ihrem Namen, niederzuschreiben. Sie meint, ich könne besser „mit Worten umgehen„. Der besseren Erzählbarkeit wegen, habe ich den Point of view als Erzählform gewählt. Sie möchte anonym bleiben.)

Warum ich das hier schreibe

„Wenn du nicht eingreifst, dann möchte ich nichts mehr mit dir zu tun haben! Wenn du das nicht ab kannst, dann war’s das jetzt! DENN ICH BRAUCHE EINEN STARKEN GOTT UND KEINEN SCHWACHEN!!!“ Ich sitze in meinem parkenden Auto und brülle meinen Gott an. Es ist mir egal, was zufällige Passanten über mich denken könnten. Mein Ruf ist sowieso ruiniert. Es ist verdammt nochmal mein Auto und mein Leben! Ich bin stinksauer auf Ihn. Stinksauer, weil Er zugelassen hat, dass ich wieder auf lieblose Menschen reingefallen bin. Nicht auf irgendwelche Menschen, sondern Menschen, die sich Christen schimpfen! Nicht nur, dass ich m. E. geistlichen Missbrauch erlebt habe, sondern auch, dass mir anschließend nicht geglaubt wurde, mein Leid nicht ernst genommen wurde, macht mir zu schaffen. Das alles rede ich mir von der Seele, Tränen der Wut rinnen mir über die Wange. Trotzig rede ich mich heiß. Würde ich nicht sitzen, würde ich mit dem Fuß aufstampfen. Ich werde aus dieser Krise wieder rauskommen, ob mit oder ohne Gott. Wenn Er nicht eingreift, dann muss ich es eben alleine schaffen. Aber dann soll Er auch nicht erwarten, dass ich noch an Ihn glaube. Das ist dann Sein Problem! So!!! – und Gott hörte zu… 

Das hier ist meine Geschichte. Ich schreibe das hier, weil ich Mut machen möchte. Mut zum eigenen Denken. Mut zum Mund aufmachen.

Ich schreibe, weil ich nicht schweigen möchte, nicht schweigen kann. Ich greife vor: Als ich nach meinen Erlebnissen in der freien Gemeinde, in der ich den geistlichen Missbrauch erlebt habe, einem anderen Pastor erzählte, riet er mir, dass ich anderen nicht davon erzählen sollte. Das würde ein schlechtes Licht auf mich werfen. – Nein, ich denke eher, es würde ein schlechtes Licht auf die Kirche werfen. Es ist der uralte Versuch, Opfer zum Schweigen zu bringen. Es soll vertuscht werden, dass es in christlichen Gemeinden möglich ist, dass jemand seine Macht missbrauchen kann, sei es als Pastor, Hauskreisleiter oder sonstiger Leiter.

Genau deswegen kann und will ich nicht schweigen! Es gibt inzwischen viele Ratgeber zum Thema geistlichen Missbrauch mit Beispielen aus der Praxis. Aber das hier ist meine Geschichte. Mir geht es nicht darum, Menschen an den Pranger zu stellen und mit dem Finger auf sie zu zeigen.

Doch möchte ich insgesamt vor Missständen in der Kirche warnen. Möchte mahnen „Schaut hin! Passt auf! Sagt nicht ungeprüft nach jeder Predigt ‚Amen‘ und vor allem: Lest selbst in der Bibel! Denkt selbst!“

Last but not least gibt es noch einen Grund, warum ich meine Geschichte aufschreibe. Ich möchte Gottes großartiges Handeln an mir bezeugen. Ich habe Leid erlebt. Aber ich erlebte und erlebe immer noch, wie Gott mich heilt. Ich bezeuge, dass Gott wunderbar in meinem Leben eingegriffen hat und Er großartig ist. Ich möchte Gott nichts wegnehmen. Es mag sein, dass ich in manchen Augen nach meiner Schilderung wie der größte Loser aussehe. Dann bin ich eben ein Loser. Aber ich bin ein von Gott geliebter Loser!  

Definition

Was ist geistlicher Missbrauch? Es gibt keine einheitliche Definition dafür.

Einig sind sich die Definitionen, dass bei geistlichem Missbrauch der Pastor oder ein anderer geistlicher Leiter z. B. Hauskreisleiter seine Autorität missbraucht, indem er Gemeindemitglieder manipuliert und kontrolliert. Er fordert Unterordnung ein und benutzt dafür ihm passende Bibelstellen. Die Folgen sind oft die Hörigkeit der unterdrückten Personen. Wenn diese den Missbrauch nicht bemerken, verlieren sie bzw. lernen sie nicht die Fähigkeit, zu hinterfragen und selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen. Sie sind vom Täter abhängig. Oft genug wurden sie im Laufe der Zeit von anderen Menschen isoliert. So haben sie meist keinen, dem sie sich anvertrauen können. Selbst wenn es außerhalb dieser Beziehung noch jemanden gibt, so wurden sie vom Täter so manipuliert, dass das Hinterfragen des anderen als Angriff verstanden wird. Ihr Selbstbewusstsein ist dann kaum noch vorhanden.

Ich las eine Definition, der ich auf das Schärfste widerspreche: Da ist davon die Rede, dass die Täter in der Regel die ihnen anvertrauten Menschen ganz unabsichtlich missbrauchen. Es sind halt Machtmenschen und die sind sich der Folgen ihres Handelns nicht bewusst. – Ich widerspreche! Machtmenschen wissen in der Regel ganz genau, dass sie den anderen verletzen. Sie bemerken es, es ist ihnen aber egal!

Wer schon einmal mit einem Machtmenschen zu tun hatte, weiß, wovon ich rede. Solche Anmerkungen tragen nur noch dazu bei, dass die Taten der Täter verschleiert werden. Was wäre, wenn es um sexuellen Missbrauch ginge? Würde man da auch sagen „Der arme Pädophile kann nichts dafür. Er folgt bloß seinem Trieb!“?

Nun zu mir – was war passiert?

Ich bin vorübergehend aus meinem geliebten Bundesland weggezogen. Wegen eines Jobs. Ich dachte, dass dieser Umzug nach Süddeutschland eine gute Entscheidung ist.

Dort ging ich in eine freie Gemeinde. Der Pastor schien nett zu sein. – So dachte ich damals ahnungslos.

Die Gemeinde

Von außen betrachtet war es eine unauffällige, normale freie Gemeinde. Jeden Sonntag Gottesdienst, mit parallel laufendem Kindergottesdienst, ein paar Hauskreise und auch Gruppen, die sich sozial engagierten. So gab es eine Flüchtlingsarbeit, Hausaufgabenhilfe und sogar jemanden, der Jugendliche im Boxen trainierte. Irgendwie war es in der länger zurückliegenden Vergangenheit dazu gekommen, dass eine Gruppe Südamerikaner sich in diese Gemeinde eingegliedert hatte. Die Südamerikaner brachten sich in die Gemeinde ein, indem sie für sie kochte. Jeden Sonntag stellten sie kurzerhand nach dem Gottesdienst selbstgekochtes Mittagessen auf den Tisch. Das war immer sehr lecker.

Oberflächlich gesehen, war es eine Gemeinde, in der man sich hätte wohl fühlen können. Doch hinter den Kulissen sah es anders aus.

Es wurde viel und oft hinter dem Rücken geredet. Ich möchte mich nicht davon ausnehmen. Nun könnte man einwerfen, dass es wohl in jeder Firma, in jedem Verein vorkommt. Ich empfand aber das Ablästern als besonders schlimm. Lästern ist nie richtig, aber was in dieser Gemeinde passierte, ging meiner Ansicht nach über das normale Maß hinaus. Das führte dazu, dass zumindest ich mir nicht mehr sicher war, ob ich überhaupt jemanden an meiner Seite habe.

(Wird fortgesetzt.)

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