
In einem kleinen Dorf lebte ein Ikonenmaler. Er hatte schon viele Ikonen gemalt und war für seine Arbeiten bekannt.
Eines Tages wanderte er in einer schönen Gegend. Doch er verlief sich. Endlich sah er von weitem eine kleine Kapelle. Als er dorthin kam, war sie offen und er ging hinein. Er setzte sich auf eine Bank und betrachtete die Kapelle. An einer der Wände bemerkte er einen Fleck, die Umrisse eines Bildes. Als er sich diesen Umriss genauer ansah, kam der Priester herein, der gerade abschließen wollte. Der Maler fragte ihn wegen der fehlenden Ikone. Der Priester erzählte ihm, dass sie schon vor vielen Jahren gestohlen wurde. Die Gemeinde sei aber so klein, dass sie kein Geld hätten, eine ähnliche zu kaufen. Darauf bot der Ikonenmaler an, eine Ikone für diese Kapelle zu malen. Der Priester freute sich sehr über das Angebot. Nachdem sie alles genau besprochen hatten, fuhr er den Maler nach Hause.
Zu Hause machte sich der Maler gleich ans Werk. Es sollte eine besondere Ikone werden, eine, wie er sie noch nicht gemalt hatte. Erst suchte er nach dem Motiv. Er entschied sich für Christus mit dem Buch des Lebens. Er begann mit dem Buch. Doch schon stockte er. Das Buch – sollte es mit Edelsteinen verziert sein? Mit welchen? Er entschied sich für Rubine und Smaragde. Dann kam die nächste Frage: Bei welchem Sonneneinfall sehen Rubine am schönsten aus? Wie müssen sie geschliffen sein? Weil er diese Ikone ganz besonders gestalten wollte, fing er an, sich mit Edelsteinen zu beschäftigen. Er schaute Schmuckherstellern zu und fuhr zur Kapelle, um den Sonneneinfall zu beobachten und versuchte sich selbst im Edelstein beschleifen. Dann wandte er sich dem Buch selbst zu, recherchierte zu Goldschnitt und Ledereinband, bereiste Mittelaltermärkte und Museen, um etwas über Buchbindekunst zu erfahren. Er fand sogar einen alten Buchbinder im Ausland, der bereit war, ihm das alte Handwerk beizubringen.
Als er wieder zurück war, begann er sich für Kleiderherstellung zu interessieren. So beschäftigte er sich etliche Jahre mit jedem Detail seiner Ikone. Als er anfing Christus zu malen, merkte er, dass er ihn nicht malen konnte. Nicht so, wie er es wollte. Da fing er an, sich mit Christus zu beschäftigen. Er las die Geschichten in der Bibel neu und auch viele Auslegungen und Kommentare. Doch damit kam er nicht weiter. So bereiste er die Orte, an denen Jesus war. Weil er herausfinden wollte, wie es sich anfühlt, sanftmütig und demütig zu sein, wurde er es. Die Leute bemerkten diese Änderung. War der Maler vorher als „komischer Kauz“ bekannt, kamen sie nun zu ihm und fragten ihn um Rat. Er half, so gut er konnte. Wenn er dann nach Hause kam, malte er an seiner Ikone weiter.
Eines Tages saß er vor seiner fast fertigen Ikone. Er war so in seine Arbeit versunken, dass er nicht bemerkte, wie jemand sein Haus betrat. Erst als er die Anwesenheit spürte, drehte er sich um. Im Raum stand eine Person, größer als ein Mensch. Er konnte nicht sagen, ob sie eine Frau oder ein Mann war. Plötzlich wusste er, dass das unwichtig war, denn diese Person war kein Mensch. Sie schaute kurz auf die Ikone und dann lange auf ihn. Sie lächelte. „Was für ein wunderschönes Bild von meinem Herrn. Er freut sich, es endlich zu sehen!“ Damit nahm sie den Ikonenmaler an die Hand und brachte ihn nach Hause. Zurück blieb die fast fertige Ikone.