
Der Herr ist mein Hirte – das ist der Psalm, der am meisten bekannt ist. Viele haben ihn auswendig gelernt oder er hängt, hübsch gestickt, gerahmt im Flur.
Ich möchte diese eine Zeile genauer betrachten. Ein Hirte geht, zumindest in Israel, voraus. „Wenn er alle seine Schafe hinausgetrieben hat, geht er ihnen voraus und die Schafe folgen ihm; denn sie kennen seine Stimme.“ (Johannes 10, 4, nach Einheitsübersetzung 2016)
Jesus spricht in diesem Text von sich selbst als guten Hirten. Er geht voraus. Wer voraus geht, zeigt damit den Nachfolgenden, dass der Weg sicher ist.
Es gibt ein paar Verse im Neuen Testament, die gefallen mir nicht sonderlich: „Wer mir nachkommen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach!“ (Markus 8, 34, nach Schlachter 2000) – „Der Herr ist mein Hirte!“ Er ging mir voran. Er, dem alle Ehrungen zugestanden hätten, hat sich selbst verleugnet.
„Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen! Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.“ (Matthäus 11, 29 + 30, ebenda) – „Der Herr ist mein Hirte!“ Er ging mir voran. Er hat es mir vorgelebt, wie es ist, sanftmütig und demütig zu sein. Dazu kommt noch eine Verheißung „…; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen!“
Ruhe für die Seele, die gehetzt wird, hin und her getrieben zwischen Likes und Shitstorm.
Lange habe ich mich übergangen, übersehen gefühlt. Ich dachte, ich muss für mein Recht kämpfen. „Jetzt bin ich dran!“ dachte ich. Doch bemerkte ich, dass mich das auf mein Recht pochen, viel Kraft kostet. Wenn es mir dagegen gelingt, mich darauf zu verlassen, dass Gott für mein Recht sorgen wird, dann passieren mir merkwürdige Dinge. Die Verkäuferin am Tresen winkt mich ran, weil sie bemerkt hat, dass sich jemand vordrängeln wollte. Der Stuart im Flugzeug schenkt mir eine Extra-Portion Schokolade. Es sind die Kleinigkeiten, die mir nicht passieren, wenn ich mal wieder mit dem Ellenbogen kämpfe.
Jesus geht vor. Er ist nicht nur gekreuzigt worden, er ist auch auferstanden. Auch da geht er mir voran.
All das, was mir zu schaffen macht, was mir schwierig scheint im christlichen Glauben, wiegt nichts mehr, wenn ich mir bewusst mache, dass Jesus mir voran geht.
Meine Zweifel, mein Leid, die Ablehnung, die ich erfahren habe, mein ruinierter Ruf, die Lügen, die hinter meinem Rücken erzählt wurden – er war dabei und er weiß genau, wie es sich angefühlt hat. Aus eigener Erfahrung! Er geht voran! „Der Herr ist mein Hirte!“
Zum Schluss noch die Geschichte vom Lokalreporter, der den Pastor anrief und ihn fragte, was denn das Thema der Predigt sei. „Der Herr ist mein Hirte!“ antwortete dieser. „Ist das alles?“ hakte der Reporter nach. „Das genügt!“ erwiderte der Pastor. Am nächsten Tag stand in der Zeitung: Thema der Predigt: ‚Der Herr ist mein Hirte – das genügt!‘