Der Steuermann

Heute vor 195 Jahren wurde Theodor Fontane geboren. Ich komme aus der Fontanestadt, von daher interessiert mich dieser Dichter.

Fontane hat u. a. eine Ballade geschrieben, die zum Zeitgeschehen passt:

John Maynard

John Maynard!

„Wer ist John Maynard?“

„John Maynard war unser Steuermann,

aushielt er, bis er das Ufer gewann,

er hat uns gerettet, er trägt die Kron‘,

er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.

John Maynard.“

 

Die „Schwalbe“ fliegt über den Erie-See,

Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee;
von Detroit fliegt sie nach Buffalo –
die Herzen aber sind frei und froh,
und die Passagiere mit Kindern und Fraun
im Dämmerlicht schon das Ufer schaun,
und plaudernd an John Maynard heran
tritt alles: „Wie weit noch, Steuermann?“
Der schaut nach vorn und schaut in die Rund:
„Noch dreißig Minuten … Halbe Stund.“

Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei –
da klingt’s aus dem Schiffsraum her wie Schrei,
„Feuer!“ war es, was da klang,
ein Qualm aus Kajüt und Luke drang,
ein Qualm, dann Flammen lichterloh,
und noch zwanzig Minuten bis Buffalo.

Und die Passagiere, bunt gemengt,
am Bugspriet stehn sie zusammengedrängt,
am Bugspriet vorn ist noch Luft und Licht,
am Steuer aber lagert sich´s dicht,
und ein Jammern wird laut: „Wo sind wir? wo?“
Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo. –

Der Zugwind wächst, doch die Qualmwolke steht,
der Kapitän nach dem Steuer späht,
er sieht nicht mehr seinen Steuermann,
aber durchs Sprachrohr fragt er an:
„Noch da, John Maynard?“
„Ja, Herr. Ich bin.“

„Auf den Strand! In die Brandung!“
„Ich halte drauf hin.“
Und das Schiffsvolk jubelt: „Halt aus! Hallo!“

Und noch zehn Minuten bis Buffalo. – –

„Noch da, John Maynard?“ Und Antwort schallt’s
mit ersterbender Stimme: „Ja, Herr, ich halt’s!“
Und in die Brandung, was Klippe, was Stein,
jagt er die „Schwalbe“ mitten hinein.
Soll Rettung kommen, so kommt sie nur so.
Rettung: der Strand von Buffalo!

Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt.
Gerettet alle. Nur einer fehlt!

Alle Glocken gehn; ihre Töne schwell’n
himmelan aus Kirchen und Kapell’n,
ein Klingen und Läuten, sonst schweigt die Stadt,
ein Dienst nur, den sie heute hat:
Zehntausend folgen oder mehr,
und kein Aug‘ im Zuge, das tränenleer.

Sie lassen den Sarg in Blumen hinab,
mit Blumen schließen sie das Grab,
und mit goldner Schrift in den Marmorstein
schreibt die Stadt ihren Dankspruch ein:

„Hier ruht John Maynard! In Qualm und Brand
hielt er das Steuer fest in der Hand,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron‘,
er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard.“

Die Passagiere der „Norman Atlantic“ hatten nicht „30 Minuten bis Buffalo“, sondern mussten teilweise 30 Stunden auf ihre Rettung warten. Für Einige kam jede Hilfe zu spät. Auch beim Schiffsunglück, das Fontane als Vorbild für seine Ballade diente, kamen Menschen ums Leben. Von den 200 bis 300 Passagieren (genaue Angaben existieren nicht) überlebten nur 29. Die Heldentat des Einzelnen, der alle rettete ist nur eine Geschichte – dichterische Freiheit, die Fontane sich nahm.

Es gibt jedoch eine Geschichte, die ich für mich als wahr erkannt habe. Einer ist für mich gestorben, für jeden, der dieses Opfer annimmt. Ich möchte die erste Strophe umdichten:

„Jesus Christus.

Wer ist Jesus Christus?

Jesus Christus ist mein Steuermann,

aushielt er, bis er das Ufer gewann.

Er hat mich gerettet, er trägt die Kron‘,

er starb für mich, meine Liebe sein Lohn.

Jesus Christus.“

Wer ist dein Steuermann? Wer steuert dein Lebensschiff? Brennt es?

Ich wünsche uns 2015 die Zeit und die Muße über diese Fragen nachzudenken und den Mut, ehrliche Antworten zu finden. Gott segne Euch.

 

 

 

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